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Blockchain – zwischen Hype und Wirklichkeit (Teil 2 von 2)

verfasst von Christian Milster

Was wären mögliche Anwendungsfelder für die Blockchain-Technologie? Was kann die Technologie bieten? Wo sind ihre Grenzen?

Hier gibt genauso viele verschiedene wie interessante Ansätze: Die Blockchain-Technologie könnte bald Mikrotransaktionen ermöglichen. Da in Blockchains auf den Intermediär verzichtet werden kann, könnten Transaktionen von Cent-Beträgen mit weniger Handlingkosten realisierbar werden. Könnte die Effizienz belegt werden, würden sich ganz neue Möglichkeiten ergeben, wie wir mit dem Internet interagieren. Nehmen wir als Beispiel die Verbreitung von kostenpflichtigen Medieninhalten im Netz. Ein zentrales Problem ist hier, dass Leser in der Regel nicht bereit sind, 99 Cent für einen Artikel zu bezahlen, wenn sie die ganze Zeitung bereits für zwei Euro erwerben können. Andererseits können Anbieter diese Services (zumindest aktuell) nicht günstiger ermöglichen. Denn sie haben enorme Kosten, da zur Abrechnung letztlich immer zusätzlich ein Zahlungsdienstleister nötig ist. Das ließ sich bislang nicht lösen. Durch die Blockchaintechnologie wäre es zukünftig jedoch möglich, das Lesen eines Online-Artikels automatisiert abzurechnen – und zwar zeilengenau auf den Cent. Server und Browser kommunizieren miteinander, und es wird gemessen, wie weit Nutzerinnen und Nutzer herunterscrollen. Dieses an der tatsächlichen Nutzung orientierte Verfahren ließe sich auf weitere Bereiche übertragen: Sekundengenaue Abrechnung von Hör-/Sehgewohnheiten von Musik-, Video/Film-Angeboten oder auch ausgerichtet am individualisierten Nutzungsverhalten von Software-Modulen könnten eine Alternative zu heutigen Flatrate-Verfahren sein.

Ein weiterer Anwendungsbereich dürfte das Internet der Dinge (Internet of Things, IOT) werden. Wenn Maschinen in Zukunft miteinander und somit direkt kommunizieren, dann sollten sie idealerweise auch Geld oder andere Werte austauschen können – einfach geregelt nach dem Wenn, dann-Prinzip. Auch im Bereich der Versicherungen ist viel Anwendungspotenzial: Durch die Auswertung von Sensordaten etwa könnte eine Versicherung mittels Blockchain und Smart Contracts die Auszahlung von Versicherungssummen im Schadenseintrittsfall automatisiert auslösen (lassen). Ein weiteres Beispiel ist die Hafenlogistik; hier könnte über eine Blockchain das komplette Dokumentenmanagement aller Beteiligten abgewickelt werden.

Auch könnte das Elektroauto schon bald an der Stromtankstelle automatisch und somit selbständig bezahlen; Musiker könnten direkt für ihre Werke honoriert werden ohne dass Spotify oder iTunes dazwischengeschaltet sind. Diese Entwicklung könnte disruptiv auf das Geschäftsmodell Plattform wirken, da die Blockchaintechnologie eben – wie oben beschrieben – den Intermediär Plattform nicht mehr benötigt. Technologisch gesehen. Aber die Plattformen binden auch Kunden. Plattformen und Aggregatoren treffen eine Produktauswahl, leiten und führen uns durch das Sortiment, treffen Vorentscheidungen.

Wie die genannten Beispiele zeigen, könnten sich die Internetanwendungen in Richtung einer fließenden Mikro-Ökonomie bewegen. Das betrifft noch viele weitere Bereiche. Unser Verständnis von E-Commerce könnte sich noch einmal komplett wandeln. Bisher ist dieses ja recht stark an die Vorstellung von einem Shop mit einem oder mehreren Bezahlsystemen gekoppelt. 

Auch wenn diese Technologie ein riesiges Innovationspotenzial birgt, werden sich solche disruptiven Umbrüche jedoch nicht über Nacht einstellen.

Ermöglicht die Blockchaintechnologie tatsächlich, dass alles automatisiert, anonym und fälschungssicher abläuft?

Im Handel gibt es bereits einen potenziellen Nutzen: Der große russische Online-Marktplatz Ulmart kämpft im Fashion-Bereich intensiv gegen Produktfälschungen. Und da Blockchains transparente Informationsebenen mitliefern – und diese nicht nur Transaktions-, sondern auch Waren- und Produktbezogen sein können –, untersucht Ulmart den Einsatz der Technologie mit dem Ziel, die Echtheit der Waren gewährleisten zu können. Kritisch bleibt jedoch die Ursprungsinformation beim Thema Rückverfolgbarkeit. Die Daten, die einmal eingestellt wurden, werden durch die komplette Blockchain weitertransportiert. So können unwahre Informationen in Umlauf gebracht werden, weil sie nicht durch einen Intermediär validiert wurden. Da hilft es dann auch nicht, dass Daten in der Blockchain vom Produzenten über Lieferanten und Spediteur bis zum Kunden nicht manipuliert werden können.

Welchen möglichen Herausforderungen steht die Blockchain gegenüber?

1. Blockwashing

Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit der Blockchain-Technologie wird Blockwashing sein: Galt Dezentralisierung als wichtiges Charakteristik der Original-Blockchain, muss geklärt werden, was der Einzug der Technologie in Cloud-Strukturen für die Sicherheitsleistung bedeuten wird. Zwar kann alles auch kryptografisch gesichert werden, was aber wiederum von einer einzigen Partei betrieben werden würde. Der ursprüngliche Charakter der Blockchain wird damit eigentlich ausgehöhlt.

2. Fehlende Standardisierung, aber das Rad muss hier nicht neu erfunden werden

Ebenfalls werden wir uns mit dem Thema Standardisierung auseinandersetzen müssen. Es gibt zahlreiche Vorschläge und Lösungsansätze für die Blockchaintechnologie. Jede mit ihren Vor- und Nachteilen. Um allgemeingültige und veritable Standards zu definieren, muss hier auf Kooperationen und Zusammenarbeit gesetzt werden.

Die Internationale Organisation für Normung (ISO) hat bereits ein Komitee gebildet, das erste Bemühungen in diese Richtung prüft. Schwerpunkte liegen dort zunächst in den Themenfeldern Terminologie und Konzepte. Als ein Anhaltspunkt für die Komplexität mag die Situation herhalten, dass bei ISO essenzielle Themen wie Interoperabilität oder Governance erkannt aber noch nicht bedient werden.

Da Blockchain letztlich eine weitere Technologie ist, um Daten auszutauschen, muss hierfür in vielen Bereichen das Rad nicht neu erfunden werden. Geht es um die Identifikation der Textilien auf der Online-Plattform, der Dokumente in der Hafenlogistik oder der Servicebeziehung in der Versicherungsbranche, so können bewährte eindeutige Idente, wie sie etwa GS1 hierfür zur Verfügung stellt, auf das Blockchain-Umfeld übertragen werden. Gerade weil global und universell ausgerichtete Standards in den unterschiedlichsten Branchen einsetzbar sind, erleichtert es auch technologische Migrationen. Wo früher ausschließlich Barcode-Lösungen zum Tragen kamen, finden wir heute mitunter auch Transpondertechnologie im Einsatz. Neben klassischen EDI-Formaten haben sich in manchen Branchen XML-basierte Lösungen etabliert. Dies alles ist möglich, weil die auf Standards fußende Basis Kompatibilität herstellt. Nachgelagerten Systemen kann es aufgrund standardisierter Schnittstellen egal sein, ob die Information aus einem Barcode oder einem Transponder ausgelesen worden war.

Gleiches ist sinnvoll für die Blockchaintechnologie. Hier könnte – in Kombination mit den beschriebenen Identen – dem Schnittstellenstandard EPCIS eine wichtige Rolle zukommen: Was, wann, wo, in welchem Kontext passiert ist sind wesentliche Inhalte ereignisbasierter Datenbankeinträge, die so standardisiert in einer Blockchain abgelegt und darüber ausgetauscht werden könnten. Dies gilt ebenfalls für bereits definierte Core Business Vocabulary, wie sie etwa für den Konsumgüterbereich existieren.

Wie das alles im Konkreten in den Bits & Bytes aussieht, wird GS1 mit interessierten Partnern erproben, um daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten und Beiträge für nötige Anpassungen, Erweiterungen oder Adaptionen von Standards zu leisten.

Hier geht's zu Teil 1 dieses Beitrags.

Dieser Blogbeitrag wurde gemeinsam mit der GS1 Germany GmbH geschrieben. 

Co-Autor:
Dr. Andreas Füßler
GS1 Germany GmbH

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