Da Porter sich stark an der industriellen Produktion orientiert und damit die Fertigung von realen Gütern als Interpretationsrahmen ansetzt, scheint hier Digitalisierung wenig am Wertschöpfungskern zu verändern. Eher wurde der realen eine parallele digitale Wertschöpfungskette beigeordnet, die ihre Spanne aus der Verarbeitung von Informationen bezieht.
Was dabei lange Zeit nicht beachtet wurde, ist die mit der Digitalisierung einhergehende Veränderung der Verkettung an sich. Denn jeder Bereich digitalisierte seine Prozesse mit maximalem Interesse an Kostensenkung innerhalb des „Silos“, aber ohne eine Berücksichtigung nach außen gerichteter Schnittstellen. Dies beklagte stellvertretend noch 2019 der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) in seinem Leitfaden "Interoperabilität durch standardisierte Merkmale", mit dem er speziell kleine und mittlere herstellende Betriebe adressiert:
„Vielen Unternehmen erscheint der Einstieg in diese „Welten“ teuer, aufwändig und mit vielen Risiken verbunden. ... Denn die Basis für alle oben genannten Themen ist eine funktionierende Kommunikation zwischen unterschiedlichen maschinellen Systemen. Kommunikation kann nur gelingen, wenn die Teilnehmer (also die Maschinen) sich verstehen, wenn der Empfänger der Daten weiß, wie er die Daten zu interpretieren hat und was das für seine Aktionen und Prozesse bedeutet. ... Gelingt dies nicht, wird es schwer für das Unternehmen, in Industrie 4.0 Fuß zu fassen, selbst wenn in viele andere Industrie 4.0-Elemente investiert wird. Eine funktionierende Kommunikation zwischen unterschiedlichen Systemen ist nicht nur für Industrie 4.0 eine Notwendigkeit, sondern auch in vielen anderen Bereichen essentiell. So ist ein wichtiges Element des e-Business der Austausch von Produktdaten in elektronischen Katalogen zwischen Hersteller- und Kundensystemen. Um die Verständigung der Partner sicherzustellen, werden hier Klassifikationssysteme und Merkmal-Lexika eingesetzt, die eine Beschreibung der Bedeutung von Merkmalen und Objekten unabhängig von den benutzten Austauschformaten ermöglichen. Diese „Externalisierung“ der Semantik ist ein Schlüssel für die Definition einer gemeinsamen Sprache in der Maschinenkommunikation. ... Die Übernahme dieses Konzeptes in Industrie 4.0 ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Interoperabilität von Anwendungen.“
Quelle: VDMA und Partner, Interoperabilität und standardisierte Merkmale. Leitfaden für Industrie 4.0, Frankfurt 2019, S.4
Prozesse nach Porter unterstellen einen bis zum Endkunden Glied für Glied in einer gegebenen Reihenfolge zu durchlaufenden Weg. Es bestand keine Notwendigkeit, über die nächste Handelsstufe hinweg zu denken, und es wurde auch nicht erkannt, dass im eigenen Unternehmen aus dieser Beschäftigung mit dem Endverbraucher eine neue Wertschöpfung entstehen könnte.
Dabei hat die Digitalisierung mit ihrer Universalsprache der XML-Codierung und APIs das IT-Model des „BUS“ auf die Wertschöpfungsketten übertragen. Bis heute ist beispielsweise die Arbeit an Produktdaten eine der großen Engpässe im e-Business. Allen Katalogsystemen und "Standards" zum Trotz, muss auf jeder Handelsstufe viel Aufwand in die kundenbezogene Aufbereitung der Produktdaten investiert werden. Problematisch daran ist, dass dieser Aufwand für den Händler inzwischen keinen Wettbewerbsvorteil mehr bietet. Einzig die Geschwindigkeit, mit der er Produkte digital aufbereitet, verringert den Zeitaufwand bis zur Verkaufsfähigkeit der Waren und Dienstleistungen.
"Time to market" ist deshalb ein Wert geworden - auch in der Beurteilung von Lieferanten. Ein Hersteller, der hervorragende Daten liefert, verbessert automatisch seine Sichtbarkeit am Markt. Zugleich wandert damit jedoch ein Teil der Wertschöpfung in seine Richtung, denn er übernimmt selbst Tätigkeiten, die in der Vergangenheit Teil der Marge des Händlers waren.
Genau so die Logistikfunktionen. Das Streckengeschäft wird im E-Commerce als "Dropshipping" auch für Endkunden genutzt. Einzelhändler sehen darin die Chance des "endless shelf", ohne das Lagerrisiko übernehmen zu müssen. Die Hersteller ihrerseits nehmen eine Verringerung ihrer Sichtbarkeit war, wenn sie nicht einen möglichst großen Teil ihres Sortiments an möglichst vielen Stellen im Internet abbilden können. Die Übernahme der Logistik durch den Lieferanten kommt aber zu einem Preis, der die Marge der Handelsstufe mindert.